RE: COLORADO
Natürlich war Hailys erster Gedanke, dass Gus das zu viel war und das er verschwand, weil sie ihm zu viel war. Weil er sich nicht nur nicht Erinnern konnte sondern weil er es auch nicht wollte und das tat mindestens genauso weh. Es hatte sie in dem Haus in San Francisco getroffen, zu realisieren, dass er sie aus seinem Gedächtnis verbannt hatte und sie hielt an seiner Schuld deswegen fest, damit das hier nicht so erschütternd war, wie es dann doch unvermeidbar kommen musste. Es gab, in dem Leben ihres Zwillings, keinen Platz für sie. Eigentlich sollte sie das hinnehmen, eigentlich sollte es ausreichen, dass Gus sie nicht weg schickte und sogar zu Jamie ins Zelt kletterte aber je länger sie allein zurück blieb, desto schwerer wurde ihr Herz, desto unkontrollierter die Tränen und als ihr Magen sich schmerzhaft zusammenzog, da wäre sie zu gern aufgestanden und abgehauen. Sie ertrug das nicht, sie belog sich, wenn sie der Meinung war, sie könnte das ertragen. Haily war genauso wie Gus, er hatte in Jamie einen enormen Grund zu bleiben aber Haily war doch noch ganz durcheinander und egal, wie viel Mühe sich Matt geben würde, dass würde sie kaputt machen. Sie ahnte auch nicht, was da in dem Zelt vor sich ging, wie Gus das Herz von Jamie überschäumen ließ, vor Glück. Wie er ihr Vertrauen nicht erneut enttäuschte, indem er ihr sagte, dass er zurück kam und eigentlich wollte Jamie sich aufrichten, wollte hinterher, wollte den beiden Helfen aber als sie sich hoch gekämpft hatte, als sie fast am Ausgang des Zeltes war, da hielt sei Inne. Das war nicht ihre Aufgabe, dass war die der beiden. Wenn das klappen sollte, mussten sie einen Weg finden und das ganz ohne sich ihr Gegenüber in der Pflicht zu sehen. Also legte Jamie sich wieder zurück, wenn auch langsam und mit schwer schlagendem Herz und dachte eigentlich, sie könnte nicht wieder in tiefen Schlaf verfallen aber sie kannte auch die Nachwirkungen der Droge nicht. Lange noch war sie überreizt gewesen, lange wach, Sinne und Geist total beschäftigt und als sie nun zuließ, sich zu entspannen und mit der Ruhe, Gus kam wieder zu ihr – weil er... sie liebte, sie ganz allein, sie wie sie war, sie wer sie war, einfach so – da begann sie schon wieder zu Träumen und das endlich ohne diese fiesen Gestalten in der Nacht, das Feuer und auch ohne Chas boshaftes Gesicht vor ihrem inneren Auge.
Und Haily? Die war ganz durcheinander als Gus sich erneut zu ihr setzte. Was war denn hier los? Wollte er ihr das Leben schwerer machen, als es schon war und waren seine Absichten doch nicht so gut? Doch noch eher sie weiter in eine andere Richtung dachte, geschah da etwas anderes. Haily hätte fast Zugelassen, dass passierte, wonach sie nach Chris Tat wirklich am meisten Angst hatte – das sie schlecht von den Menschen dachte. Sogar von Gus – William – wie auch immer. Bis ihre Augen da die Muschel erblickten und sie konnte sich auch erst bewegen, als er sie in die Seite stieß. Die feuchten Wangen rieb sie an den angezogenen Knien und auch wenn jede Bewegung schmerzte, nahm sie vorsichtig, als wäre sie aus dünnem Glas, die Muschel wieder an sich und legte aber auch im Gegenzug die leere in seine Handinnenfläche, betrachtete das Bild solange eingehend, bis er die Hand wieder zu sich zog. Er mochte diesmal den Sinn nicht verstehen und es konnte sogar sein, dass er sie gar nicht wollte aber Haily zog zart ihre Finger über das ihr so vertraute Schmuckstück und erinnerte sich wie von selbst an jede Rille und auch ohne sie anzusehen, an jede filigrane Einzelheit darauf und egal wie angespannt die Stimmung schien, sie fand endlich etwas in sich, was ihr das Gefühl zurück gab, sie selber zu sein. Ohne erkenntlichen Grund für ihn, begann sie ganz leise und nur einmal kurz aufzulachen, wenn auch viel weniger euphorisch und ansteckend als sonst, zog ihre Schultern an und hob den Kopf. „ Ich Glaube, ich werde nie vergessen, wie sauer ich auf meinen Exfreund war, weil sich irgendwann das Band von der Kette gelöst hat und sie auf den Boden gefallen ist... siehst du...“ ganz zart tippte sie auf eine Stelle, wo eine Mini-Ecke fehlte und es wäre wohl nicht aufgefallen aber Haily schon. „...er konnte da gar nichts für und eigentlich bin ich nicht so aber das war mein größter Schatz. Ich dachte immer, wenn sie nicht bei mir ist, dann ist die Welt ein schlechterer Ort und ich würde die Hoffnung aufgeben,... alle Hoffnung. Ich hatte Angst zu vergessen, wer meine Familie ist und wie es ist, Zuhause zu sein. Ich habe von euch beiden so oft geträumt und ich dachte, ohne die hier, würde ich vergessen, wie ihr ausseht und auch das nicht mehr können. Dabei war ich so nie einsam. Deswegen... sollte es mir auch für dich... Leid tun, dass du das nicht weißt und... du musst dir im Stich gelassen vorgekommen sein. Ich habe immer gesagt, Chas wäre wieder gekommen, damit ich so nicht fühlen muss und ich war so wütend, als ich wusste, er hat uns mit Absicht da alleine gelassen.“ sie zog die Schultern etwas weiter zusammen aber wohliger, denn mit der Erinnerung verschwanden die Schmerzen ein wenig. „ Ich dachte es ist leichter zu denken, du willst dich nicht an mich erinnern, weil du mich jetzt auch nicht... um dich herum haben kannst und möchtest. Das verletzt mich und wenn ich davon ausgehe, deine Absichten waren von Anfang an so... muss ich keine weiteren Fragen stellen.“ Oh es war so schön und doch so Fremd, ihm das zu Erzählen und weil Haily eben Haily war, rutschte sie etwas an ihn heran. Unauffällig, Auffällig, so wie sie es am besten konnte. „ Obwohl ich weiß, dass du so nicht bist. Du bist nur schon immer der ruhige, nachdenkliche und vorsichtige von uns beiden gewesen. Auch definitiv etwas sensibler. Deswegen war ich aber auch immer in deiner Nähe. Chas war mein Vorbild und wir waren ein Team. Alles was dich gestört hat, habe ich in die Flucht geschlagen, wenn du deine Ruhe haben wolltest, nur vor mir hattest du die nie. Ich wollte immer Wissen, was du denkst und du hattest unglaublich viel Geduld mit mir, mir das zu Erklären.“ Sie lachte leicht auf, und spürte dabei, dass sie endlich so weit gekommen war, ihn beim einatmen mit ihrem Arm zu berühren. „ Wir sind Zwillinge, meistens wusste ich genau, was du meinst aber ich wollte dich zum Reden bringen oder etwas Erzählt bekommen, also habe ich absichtlich gefragt und das wusstest du ganz genau aber du hast es trotzdem getan. Mama hat immer Geschimpft, wenn du krank warst - war ich auch krank...“ Sie kniff die Augen etwas zusammen, weil das so war, als wäre es gestern gewesen. „...ich wollte nicht, dass du alleine bist, wenn dir nicht gut war, ich wollte dir wenigstens Blödsinn erzählen und egal ob sie es verboten hat, einen Weg habe ich immer gefunden, mich in dein Bett zu schleichen und dann hab ich mich Angesteckt und war auch krank. Ich war es aber auch, die immer unfassbar blöde Ideen hatte und nicht selten Ärger oder einen tiefen Fall mit sich gebracht haben. Das hast du bei mir immer gespürt aber statt mich aufzuhalten, standest du da und hast Sorgsam das Beobachtet, was ich da angestellt habe oder mir geholfen. Aus Comics wollte ich immer was nach machen, zum Beispiel Kuchen von der Fensterbank klauen oder an einer Wäscheleine entlang hangeln oder Türme aus Möbeln bauen um in Nachbar Garten zu kommen. Ich hab gesehen, wie du wusstest, es ist keine gute Idee aber du hättest immer mit gemacht und mich nie verpetzt, wir waren irgendwie eins und wir mochten immer die Stärken des anderen. Die Muschel... die sollte das... die sollte das tun...“ und wieder sah sie auf ihre Finger und das traf Haily doch gemeiner als erwartet. „...in dem Heim, da kam so schnell eine Familie, die mich adoptieren wollte... die Erzieherinnen haben gedacht, es wäre mein Glück und meine Chance, weil wir haben eh nicht gesagt wo wir her kommen... aber das war Grausam. Die Treffen mit den neuen Eltern, wir haben gewusst, was da kommt – manchmal war ich Tagelang weg aber wir hatten Chas versprochen, nichts zu sagen und jede Nacht hab ich mich zu dir geschlichen – dafür war ich einfach die Mutige – und wollte dich gar nicht mehr los lassen. Du hattest ganz viel Sorge um mich aber das half uns beiden nicht, wir wurden eh die meiste Zeit getrennt und dann hast du mir die Muschel gegeben. Stellvertretend für dich sollte sie... acht geben, mich daran erinnern, was manchmal gut war und was nicht. Die Muschel bringt nicht nur Glück, ich war so nie allein und sie hat mir bei den richtigen Entscheidungen in meinem Leben geholfen. Irgendwo warst du immer da. Deswegen... wenn du... ich weiß nicht aber wenn du das jetzt weißt und wenn... wenn es dir... irgendwo hilft, behalte die weiße Muschel, ich bin eh viel zu ungeduldig, die zu bemalen oder gar zu Ende zu malen.“ Sie lachte leicht auf, egal wie durcheinander sie war und weil sie einfach Wissen musste, wie das war, flauschte sie sich kurz und dennoch langsam an seiner Schulter um sich dann Entschuldigend zurück zu ziehen, genau so waren sie gewesen, William und Haily in ihrer Kindheit. Genau das. „Zwillinge sind irgendwie nie alleine, sagt man so und ich... für mich ist das so und auch wenn dir die Erinnerung fehlt, weil da in dieser Nacht und... auch davor... zwischen unseren Eltern grauenvolle Dinge passiert und dir angetan wurden... hast du jemanden, der immer an dich Gedacht hat und eine Familie. Eine Zwillingsschwester, die dich zu Tode quatscht und du noch immer so ein Schweigefuchs bist.“ Denn natürlich war ihr klar, wie sehr sie ihn überforderte.
|| LOSING HERSELF » 25 YEARS OLD » DIFFUS ||
Just remember to laugh as much as you cry,
and I promise you will find yourself when you are least expecting it.
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