RE: STRAßENSTRICH
Noah wusste schon aus ihren Erzählungen, dass sie es schon immer vorgezogen hatte, alleine zu schlafen und sich nicht mit anderen, obdachlosen Jugendlichen zusammen tat. Apple fehlte das Vertrauen in die Menschen, was den jahrelangen Lügen in ihrem bisherigen Leben geschuldet war. Man konnte es darin sehen, wie wenig Mimik sie zuließ, wie wenig Empathie sie mit den Menschen und ihrem direkten Umfeld hatte und das führte zu dieser kühlen, abweisenden Aura, die auch Noah fast verscheucht hätte. Ein für alle mal. Nur jetzt gerade, da saß einfach ein junges Mädchen neben ihm, was das Gefühl hatte, so tief gefallen zu sein, wie noch nie in ihrem Leben zuvor und das steckte nicht einmal jemand wie Apple einfach weg. Jemand, für den die zwischenmenschlichen Beziehungen, ein Buch mit sieben Siegeln waren. Das sie lieber darüber sprach, was zwischen den beiden stand, lag doch einfach daran – sie hatte über Chris nichts zu sagen. Da gab es nichts, was sie ihm hätte groß eröffnen können. Ihr Vater war... derjenige gewesen, an den sie sich hatte klammern können und nun war er weg. Von dem Freund ihrer eigentlich besten Freundin zu Tode geprügelt. Damit verlor sie auch das Dach über dem Kopf, ihre Hoffnung sich nie wieder einem Mann auszuliefern, das Essen, die Kleidung und ihr fehlte sogar die Schule. Es waren die Sorgen, die ein Mädchen in ihrem Alter eigentlich gar nicht haben sollte, die er ihr genommen hatte und nun waren sie alle wieder zurück. Darüber musste man jedoch nicht groß Sprechen, das war einfach so und sie fand sich besser heute als morgen damit ab – wenn sich das nur so leicht lenken ließe.
Als Noah begann, seine Fragen zu stellen, betrachtete sie, ganz ruhig, sein Gesicht. Als stünde dort die Antwort geschrieben, sah sie auch noch danach stillschweigend in seine hübschen Augen – so lange, bis sie es nicht mehr ertrug. Als sie in ihrem Kopf durchgegangen war, wann sich etwas in ihr geändert hatte. „ Du siehst... das nur schwarz und weiß. Das geht so aber nicht.“ Fand sie ihre Stimme wieder, mit einem Kopfschütteln untermalte sie diese Aussage. „ Natürlich war Chris und die Sorge, dass er ins Gefängnis muss, immer da – wie würde es dir denn damit gehen? Versetz... versuch einmal, dich da rein zu denken. Ich weiß, du Glaubst Lahja aber... probier das einfach, kurz. Ich habe ihn gefunden – auf dieser riesigen Welt, dabei dachte ich, er will mich nicht... Er war der einzige in meiner Familie... der mich nicht angelogen hat. Im Gegenteil, er wurde in dem Glauben gelassen, ich sei Tod und... dann hast du diesen Menschen unter... keine Ahnung wie viele es gibt... wieder gefunden und er soll ins Gefängnis? Dort, wo ich ihn nicht mal hätte besuchen können, weil die mich sonst sofort ins Heim gesteckt hätten. Er wollte... das beste für mich, dass es mir gut geht und... ich will nicht... nicht Streiten jetzt... egal, wer nun was getan hat oder auch nicht... natürlich ist da dieses Gefühl, wie ich ihm helfen kann, damit man ihn mir nicht sofort wieder wegnimmt. Auch noch, als er mich rausgeworfen hatte.“ Das war Sicher nicht das, was Noah hatte hören wollen aber wenigstens war das nicht gelogen. Apple strich sich über ihren Nacken, denn die Antworten an ihn waren da auch noch offen, die eben nicht ihren Vater sondern die beiden betrafen. „ Lahja war... war so anders als du es bist. Irgendwann hatte ich nicht mehr das Gefühl, dass ich etwas herausfinde über dich weil... du würdest niemanden so bloßstellen. Viel mehr hatte ich das... das Gefühl, du... bist schon... zu gut und deswegen Glaubst du ihr. Weil sie sich immer auf dich verlassen kann...“ Oh, wie sich Apple davor drückte, über ihre eigenen Gefühle zu sprechen. Man sah, wie sie das quälte, als sie sich den Schnaps zu sich nahm und noch mehr in sich zusammen kauerte. „ Du warst... so gut zu mir, so lieb... ich konnte... so viel von dir lernen, du hast mir so viel Mut gemacht. Das mit dem Singen, das Campen, dein Haus in San Francisco... das war nicht gelogen, auch wenn... da ein ganz anderer Grund hinter steckt, als du dachtest, ändert das nichts. Trotz, dass ich mir Sorgen um meinen Papa gemacht habe, ist das andere doch... nicht einfach nichtig. So habe ich mich noch nie zuvor gefühlt, bei einem Jungen aber... aber ich bin da auch nicht... besonders gut oder bewandert...“ Ihre völlige Fehleinschätzung der Lage, machte sich nun so richtig Bemerkbar. „...deswegen war es gut, dass Chris mich abgeholt hat. Du wolltest... mich nicht und... dieser Junge in dem Haus... das... das war keine Absicht aber ich habe das auch gar nicht kommen sehen, der hat mich benutzt – sogar ohne mir Geld dafür zu geben und dann... wurde mir klar, ich gehöre da nicht hin. Ich finde deine... deine Welt toll, du bist großartig... das ist mein Ernst, du bist sogar jetzt noch hier aber... das passt alles nicht. Ich kann nicht damit umgehen, wie ich dich mag, du mich aber nicht willst und ich kann auch nicht damit umgehen, wie es dir egal ist, wie man über mich spricht, wenn ich nicht da bin – du aber so tust, als wäre es dir wichtig – ich dir wichtig...“ Tatsächlich war Apple da immer sehr straight. „...Das macht ich durcheinander. Das ist wie mit dem Kuss, deinen lieben Worten in der Nacht auf dem Sofa und dann – nichts. Das wie, das war nicht schön und ich... du hast es nicht verdient, dass dir jemand so weh tut aber ich war ganz froh, dass Chris dem einfach so... ein Ende gesetzt hat. Irgendwann wusste ich auch nicht mehr, wie ich dir das alles hätte sagen sollen... ich hatte Angst vor deiner Reaktion.“ Man könnte meinen, da waren noch immer mehr Tatsachen im Dialog, als Gefühle von ihr aber Noah kannte Apple nun auch eine Weile, sie konnte die meisten Regungen doch nicht einmal selbst definieren und das war auch bis zuletzt eine seiner größten Sorgen, dass sie sich von ihrem bisherigen Leben nicht erholte. Das sie zu kaputt war. Wie sonst könnte sie so schnell wieder in alte Muster finden. " War... war es das? Ist... ist das... was du wissen wolltest?"
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