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STRAßENSTRICH
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Noah Scott
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Beitrag #22
RE: STRAßENSTRICH
Ich stand anfangs noch so neben mir und war so gefangen in meinen nicht enden wollenden Gedankenströmen, dass ich gar nicht recht verstand, warum Lahja das gerade tat - nämlich für mich - und es damit auch nicht angemessen würdigen konnte. Schweigsam tat ich bloß das, wozu sie mich ermutigte, indem ich mir meine Kleidung wieder anzog, noch ein paar andere Dinge in meinen Rucksack schmiss, meine wichtigsten Habseligkeiten nahm und mich dann mit ihr zur Busstation begab, aber zur Ruhe kam ich erst, als wir eingestiegen waren, tief in die Sitze sanken und sich das Gefährt in Bewegung setzte. Erst dort sah ich immer wieder von der Seite in das Gesicht von Lahja, überlegte dabei, ob sie selber irgendwelche Vorteile daraus zog jetzt mit mir nach Los Angeles zu fahren, um dort nach Apple zu suchen, aber blieb immer wieder daran hängen, dass sie es völlig selbstlos tat. Nur für mich. Nur, damit es mir gut ging. Das hier war keine Manipulation und sie machte mir auch keinen Vorwurf daraus, dass auf einmal Apple und ihr Wohlergehen wieder so viel Platz in meinem Kopf einnahmen, sie war einfach-- sie tat, was sie mir versprochen hatte. Sie akzeptierte mich wie ich war. Und das war so schön zu erleben, dass ich irgendwann liebevoll meine Finger mit ihren verkreuzte, sie schwach anlächelte und schweigsam über die warme Haut auf ihrem Handrücken streichelte, während die Landschaft an uns vorüber zog. Wie gut es sich anfühlte sie hier zu haben. Wie viel stärker es mich machte zu wissen, dass sie hinter mir stand. Als wir uns, in Los Angeles angekommen, direkt auf den Weg zu Hailys Haus begaben, musste ich erstmalig kein schlechtes Gewissen dafür in Kauf nehmen, und als sie mich auch noch motivierte mir ruhig Zeit zu lassen bei meiner blonden, durchgedrehten Freundin, konnte ich nicht anders, als Lahja dicht an mich zu ziehen und sie noch einmal zu küssen, bevor ich hinter der großen Holztür verschwand.
Haily ging es wie erwartet miserabel. Ich hatte schon mehrmals miterleben müssen wie sie sich mit Bauchschmerzen im Bett hin und her drehte und ich hatte auch gesehen wie schlecht es ihr ging, als Aiden sie vor ein paar Wochen mit seinen Worten so verletzt hatte, aber das hier waren ganz neue Dimensionen. Das hier war nicht mehr Haily. Ihr Zimmer war verdunkelt, es war kalt hier, und als ich hinein kam, als ich mich dort direkt neben sie auf die Matratze legte und sie fest in meinen Arm schloss, da konnte sie sich gar nicht richtig freuen mich zu sehen. Nicht so wie sonst. Sie hatte noch nie zuvor so sehr an dieser Welt gezweifelt, die sie um sich herum errichtet hatte, wie jetzt und es brach mir beinah das Herz dieses Mädchen, das in kürzester Zeit einen riesigen, wichtigen Platz in meinem Leben eingenommen hatte, so zu sehen. Viel zu gerne wollte ich ihr ein bisschen des Leids nehmen, ich wollte ihr von Lucy erzählen und davon, wer Chris war und warum Aiden das getan hatte, weshalb er ihn ewig hassen würde, aber ich fühlte mich nicht im Recht dazu, also ermutigte ich sie nur noch einmal mit Aiden zu reden, ihn vielleicht im Gefängnis zu besuchen, und sprach ihr gut zu, dass er zweifellos seine Gründe haben musste, bevor sie mich auch schon wieder vor die Tür setzte, damit ich nach Apple suchen konnte. Das war wichtiger jetzt, sagte sie, und weil keiner von uns ahnen konnte, dass Haily noch etwas viel Schlimmeres erfahren sollte und daraufhin erneut die Stadt verlassen würde, drückte ich sie noch einmal fest an mich und versprach ihr in den nächsten Tagen immer mal wieder vorbei zu kommen.
In Wirklichkeit waren die nächsten Tage aber viel zu sehr ausgelastet, fast jede freie Sekunde stromerte ich durch die Stadt, um nach Apple Ausschau zu halten. Tagsüber ging ich mit Lahja zu naheliegenden Orten wie einer Obdachlosen-Station oder zu ein paar Organisationen, die umsonst Essen austeilten. Oder wir liefen einfach nur durch die Straßen, mit einem Bild von Apple auf unseren Handys, und fragte wahllos die Passanten. Hoffnung machte ich mir jedoch meistens erst, wenn es Abend wurde, wenn ich mich dann von Lahja trennte, sie bat in ein paar Kneipen oder Clubs nach ihr zu suchen, während ich mich selber dorthin bewegte, wo ich mich eigentlich nie wieder aufhalten wollte. Jede Nacht trieb ich mich in der Nähe der Straßen herum, wo Minderjährige sexuelle Dienste anboten, anfangs erst im Zentrum der Stadt, aber dann zog ich immer weiter in die Außengebiete. Ich hasste es wie ich mich hier fühlte, ich hasste es auch wie ich angesehen wurde - entweder argwöhnisch, weil man jemanden wie mich hier wohl selten sah, oder aufreizend, von Mädchen und auch Jungs, die viel zu jung waren, um auf die Art ihr Geld zu verdienen. Ich hasste es wie manchmal mein Herz stehen blieb, weil ich glaubte in der Dunkelheit Apple zu erkennen, aber dann doch enttäuscht wurde. Es war ein ganz absurdes Gefühl, das sich jedes Mal in mir ausbreitete, wenn ich die Wege hinab lief und in die fremden Gesichter sah, denn während ich einerseits so sehr darauf hoffte Apple endlich zu finden und für sie da zu sein, wollte ich das eigentlich nicht hier tun. Ich wollte, dass unsere gemeinsame Zeit etwas in ihr verändert hatte. Dass sie sich zu gut fühlte für das hier. Dass sie sich, dank mir, daran erinnerte wie man auch auf andere Arten Geld verdienen konnte. Dass sie nicht mehr hierher gehörte. Aber dem war nicht so, denn in der vierten Nacht, nachdem ich bei Haily gewesen war, setzte auf einmal nicht nur mein Herz aus, sondern auch mein Atem blieb stehen und mein ganzer Körper zog sich zusammen. Da war sie. Da war sie wirklich. Sie war tatsächlich wieder hier, stand in einem kurzen Rock und weit ausgeschnittenem Oberteil am Straßenrand und versuchte die vorbeifahrenden Autos von sich zu überzeugen. Sie war so fixiert darauf, auf diesen Job, den sie hier ausführte, dass sie mich erst bemerkte, als meine Hand sich zitternd auf ihre Schulter legte. "Apple?" Meine Stimme klang ganz rau, unsicher auch, weil ich- Scheiße, ich hatte keine Ahnung, ob ich ihr überhaupt noch irgendetwas bedeutete. Ob ich ihr jemals etwas bedeutet hatte. "Ich- ich hab mitbekommen, was passiert ist, und--" Mittendrin brach ich ab, weil ich es einfach nicht schaffte ihr mein Beileid auszusprechen. Nicht für Chris.
08.07.2016 11:08
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STRAßENSTRICH - Admiss - 22.07.2015, 13:06
RE: Straßenstrich - Scarlett Johnsen - 22.07.2015, 13:20
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