RE: THE WAREHOUSE
Dieser Anblick von einer völlig abgedrehten Nele, balancierend auf einem Brückengeländer, beschäftigte mich nachhaltig so sehr, dass es mir einfach keine Ruhe mehr ließ. In dem letzten Jahrzehnt war ich immer derjenige gewesen, der sie in der Manie auf den Boden der Tatsachen zurückholte, der penibel auf die richtige Medikation achtete und immer ein Auge auf sie hatte. Ich ließ es gar nicht so weit kommen, dass sie sich selber in Lebensgefahr begab, eigenhändig mit anderen Drogen experimentierte oder sich so in ihrer manischen Phase verlor wie sie das jetzt tat. Laut diesem Typen - Aiden - schien sie das Zeug ja sogar zu verkaufen. War das jetzt etwa die Art wie sie Geld verdiente? Wie sie ihren Lebensunterhalt bestritt? Sich eine Wohnung leisten konnte? Und warum achtete denn niemand auf sie, verdammt? Wo waren ihre Eltern? Wussten die nicht, was Nele hier so trieb? Wie sie lebte? Schon seit dieser Nacht wuchs in mir immer mehr der Gedanke, dass ich ihre Mutter und ihren Vater vielleicht mal anrufen sollte, um mit ihnen zu sprechen, aber jedes Mal schüttelte ich dann doch über mich selber den Kopf. Sie hatten keine Ahnung von der Krankheit ihrer Tochter, sie wollten Nele am liebsten einfach abschieben, in eine stationäre Behandlung, das wollte und konnte ich nicht zulassen. Stattdessen lastete ich mir diese Kontrolle also selber auf die Schultern und rief sie am nächsten Tag direkt an, um sie zu einem Treffen mit mir zu überreden. Sie kam auch, aber so wie meine Ex-Freundin in ihrer Manie nunmal war, schien sie auf ganz andere Dinge fixiert zu sein, als ich. Fragen zu ihrer Therapie, zu ihrer Lebenssituation, ihrer Gesundheit, das blockte sie alles ab. Lieber versuchte sie mich mit ihren Blicken, mit ihrer Körpersprache oder mit noch viel eindeutigeren Gesten zu verführen, was ich wiederum an mir abprallen ließ. Auch wenn mir das verdammt schwer fiel, denn ständig erinnerte mich ihre plötzliche Nähe auch an unsere guten Zeiten miteinander. Als sie unter dem Tisch in einem Café plötzlich ihren Fuß an meinem Bein hoch schob, bis in meinen Schritt, da fühlte sich das auf einmal an wie eines unserer unzähligen sexuellen Abenteuer, aber trotzdem war ich vernünftig genug sie einfach von mir wegzudrücken. Nicht nur, weil wir kein Paar mehr waren, sondern vor allem auch wegen meiner neuen Beziehung. Wegen Lahja. Das konnte und wollte ich nicht aufs Spiel setzen, denn schon allein die Tatsache, dass ich mich überhaupt mit meiner Ex-Freundin traf, schien ihr nicht besonders zu gefallen und ich musste ihr auch das Versprechen geben, dass ich nicht zu viel Zeit mit Nele verbrachte. Nicht so viel, dass unsere Beziehung darunter litt.
Und daran hielt ich mich auch. Es waren jetzt schon wieder ein paar Tage vergangen, seitdem ich Nele das letzte Mal gesehen hatte und ich schlug mich auch ganz gut darin ihre Probleme nicht zu meinen Problemen werden zu lassen. Vielleicht musste ich sie einfach ihr Leben so gestalten lassen wie sie das wollte, sie ging schließlich noch immer regelmäßig zur Therapie - das hatte sie mir mehrmals bestätigt - und das war die Hauptsache. Aber als ich eines Abends spät nach meinem Training im Boxclub nach Hause lief und dabei auch einige dunkle Gassen passierte, hielt ich auf einmal inne. Dass in einem Auto am Straßenrand ein paar junge Männer saßen und lachten, das hatte ich schon von weitem mitbekommen, aber als ich direkt an dem Wagen vorbei ging- War das nicht Neles Stimme? Hatte Nele da nicht gerade etwas gesagt? Unsicher verlangsamte ich meinen Schritt, sah verwirrt zu dem Auto und versuchte durch die Scheibe etwas zu erkennen, als genau in dem Moment das Licht der Handykamera auf das müde Gesicht meiner Ex-Freundin traf. Was?! Sie saß da hinten auf dem Rücksitz eingekesselt zwischen zwei Männern, die ihren Körper ganz eindeutig berührten, und vorn saß noch ein dritter Typ, der mit einer Kamera die ganze Szene filmte, was in mir eine absolute Kurzschlussreaktion auslöste. Ohne zu zögern schlug ich meine Faust so fest wie möglich gegen die Scheibe, provozierte damit, dass alle mich erschrocken anstarrten und dem vorderen Mann sogar das Handy aus der Hand fiel, aber noch bevor sie verstanden, was hier geschah, hatte ich schon eine hintere Tür aufgerissen und zerrte einen dieser notgeilen Kerle mit geöffneter Hose heraus, um einmal auszuholen und ihm meine Faust mitten ins Gesicht zu schlagen. Nicht so fest, dass er irgendwelche bleibenden Schäden davon trug, aber doch hart genug, dass er taumelte und dann auf den Boden fiel. "Nele! Komm raus da!" Wütend knallte ich ihr die Worte an den Kopf, weil ich doch in ihrem Gesicht genau sehen konnte, dass sie schon wieder völlig neben sich stand, aber wartete nicht einmal darauf, dass sie mir gehorchte, sondern griff als nächstes nach ihrem Arm und zog sie einfach zu mir. Der Mann auf dem Vordersitz drehte sich nämlich schon eilig um und startete den Motor des Wagens, während der andere schnell seine Hose wieder schloss. Die Dritte rappelte sich neben mir auf dem Boden auch gerade wieder auf, aber ich schenkte ihnen schon kaum mehr Beachtung, als meine Ex-Freundin endlich schwankend vor mir stand. Eigentlich wollte ich mich bloß noch um das Handy kümmern und verhindern, dass diese Aufnahmen jemals irgendwo erscheinen würden, aber noch bevor ich dazu kam, verlor Nele beinah das Gleichgewicht und ich war nur damit beschäftigt ihren Körper zu stützen, während sich auch der letzte Mann ins Auto flüchtete und dann alle gemeinsam davon fuhren. Fuck. "Was ist denn los mit dir, Nele?!" Noch immer herrschte ich sie wütend an, obwohl das wahrscheinlich gar nicht mehr recht zu ihrem Kopf durchdringen konnte. "Scheiße, was machst du denn? Was soll denn das?" Schon wieder knickten ihre Beine fast weg, sodass mir gar nichts anderes übrig blieb, als verzweifelt den Kopf zu schütteln. "Ich bring dich nach Hause. Wo wohnst du jetzt? Deine Adresse?"
ZACHARY WILLIAM COLES # 28 YEARS OLD # STRAIGHT EDGE
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