RE: THE ROOSEVELT HOTEL
Ich war es gewohnt, dass Dinge so funktionierten, wie ich sie mir vorstellte. Früher oder später kam ich immer an mein Ziel, manchmal mit viel harter Arbeit und elendig langer Geduld, aber Beharrlichkeit zahlte sich aus, deshalb stand ich ja jetzt dort, wo ich seit meiner Flucht nach Los Angeles stehen wollte. Und auch bei Summer wandte ich dasselbe Prinzip an. Der Arzt konnte mir noch so oft sagen, dass ich meine Hoffnungen nicht zu hoch schrauben sollte und dass sie unheimlich viel einstecken musste, ich gab sie trotzdem nicht einfach auf. Auch nicht nach vier Tagen ohne Bewusstsein. Er hatte ihr einen Tropf gelegt, dadurch wurde ihr Körper während der Zeit zumindest mit der nötigen Flüssigkeit und den lebenswichtigen Nährstoffen versorgt, aber natürlich wurde ihr Zustand trotzdem mit jedem Tag kritischer. Solange sie hier in dem Bett meines Hotelzimmers lag und nicht in einer Klinik, wo sie alle möglichen Maschinen hatten, um überhaupt erstmal das Ausmaß ihrer Verletzungen herauszufinden, sie zu reparieren und danach am Leben zu halten, schwand ihre Kraft und ihre Lebensfähigkeit mit jedem Tag mehr. Solange sie jedoch noch atmete und das Herz in ihrer Brust schlug, ließ ich gar keine andere Meinung zu. Von niemandem. Als der Arzt am zweiten Tag noch einmal kam und mir schon wieder sagen wollte, dass er nicht zuversichtlich war, raunte ich ihm einfach zu, dass er den Mund halten sollte. Das konnte ich hier nicht gebrauchen. Nein, diesmal würde ich alles richtig machen. Nicht so wie bei meiner Mutter damals. Ein halbes Jahr hatte sie im Koma gelegen, bevor die Ärzte ihre lebenserhaltenden Maschinen abschalteten, und bis zum heutigen Tag bereute ich mein damaliges Desinteresse. Oft saß ich einfach nur regungslos bei ihr im Raum, während eine Krankenschwester mit ihr redete oder mit einem feuchten Waschlappen ihre Hände und ihr Gesicht wusch. Ich saß auch nur dort, während mein Stiefvater tagtäglich wütend wurde, weil sie nicht endlich aufwachte und ihr dann zuschrie, dass sie einfach endlich verrecken sollte. Er hasste diese Unsicherheit. Er hasste es geduldig warten zu müssen. Und wie sollte ein Mensch aus dem Koma erwachen, wenn man den ganzen Tag lang nur diese negativen Stimmen hörte? Wenn man unterbewusst gar keine Liebe mehr erfuhr?
Bei Summer würde ich diesen Fehler nicht machen. Jeden Abend, wenn ich von der Arbeit zurück ins Hotel kam, befeuchtete ich ein Handtuch, setzte mich zu ihr ans Bett und wusch - so wie die Krankenschwester damals - ihr Gesicht und ihre Hände. Ich redete sogar mit ihr, erzählte ihr mit gedämpfter Stimme von meinem Tag. Ich achtete darauf, dass man sie immer sorgsam zudeckte und dass rund um die Uhr jemand hier bei ihr war. Falls sie aufwachen sollte. Vier Tage dauerte es allerdings, bis ich in der Nacht auf einmal ein dumpfes Geräusch hörte und sofort aus dem Schlaf erwachte. Summer bewegte sich neben mir, ein Bein hatte sie schon aus dem Bett gestreckt und das Geräusch war daher gekommen, dass sie mit ihrem eingegipsten Arm gegen den Nachttisch gestoßen war, bei dem Versuch aufzustehen. Sie war hier, sie war wach und sie konnte sich bewegen. Jetzt müsste sie nur noch-- Funktionierte ihr Kopf auch? "Du bist wach", sprach ich direkt aus, erhob mich aus dem Bett und lief einmal eilig drumherum, um sie ganz vorsichtig an den Schultern wieder zurück zu drücken und nach ihrem Bein zu greifen, das ich ebenfalls wieder auf die Matratze hob. "Bleib liegen, nicht bewegen. Wie gehts dir? Wie fühlst du dich? Weißt du, was passiert ist? Wer ich bin?"
CHARLES LUCAS THOMPSON # 34 YEARS OLD # CRIMINAL
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