RE: SPIELPLATZ
Hätte ich gewusst, was mich am nächsten Tag in Madisons Wohnung erwarten würde, dann hätte ich vermutlich keinen Blick zu lange auf die lila-blau verfärbten Hämatome auf ihrer Haut riskiert. Ich hätte ihr nicht vorgeworfen, dass die Stimmung dadurch sprichwörtlich im Eimer war und ich wäre in der Nacht auch nicht noch zu meinem Freund gefahren, um dort zu schlafen. Dabei ging es nicht einmal um Chas oder darum, dass ich nicht in ihrer Nähe sein wollte. Ich hatte nicht beabsichtigt, dass sie sich allein gelassen fühlte. Es war nur einfach die logischste Idee. Meine ganzen Sachen waren noch dort, ich hatte bei Madison nicht einmal meine Zahnbürste und wenn ich nicht in der Nacht zu ihm gefahren wäre, um ein paar Stunden später voll bepackt zurück in unser kleines 1-Zimmer-Appartement zu ziehen, dann hätte ich es völlig verkatert am Tag darauf machen müssen. So einfach war das. Dass ich meiner Frau damit vor den Kopf stoßen würde, das merkte ich dann tatsächlich erst am nächsten Morgen, als ich müde, mit meinem großen Rucksack auf dem Rücken, die Tür zu unserer Wohnung aufschloss und dort nichts anderes fand, als einen Brief von ihr mit der Nachricht, dass sie sich eine Auszeit nehmen musste. Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit, in der ich einfach nur die Worte auf dem Blatt Papier anstarrte und nicht verstand, weshalb Madison nach dem gestrigen Tag noch das Gefühl haben konnte sie müsste vor etwas fliehen. Vor mir? Vor unserer Zukunft? Vor dem Kind, das sie nie haben würde? Vor den Erinnerungen an unser Kind, das nicht mehr existierte? Wie konnte sie das nach dem gestrigen Abend denn noch tun, an dem wir beide so viel Spaß miteinander gehabt haben, wie schon lange nicht mehr? Ich hatte die Liebe zwischen uns doch spüren können und jetzt tat sie das hier? Sie lief einfach weg und gab mir nicht einmal eine Möglichkeit sie zu erreichen oder mit ihr zu sprechen? So sehr mich das auch am ersten Tag schon verletzte - mit jedem Tag, an dem sie nicht zurück kam oder etwas von sich hören ließ wurde es immer schlimmer. Anfangs hatte ich noch versucht sie zu verstehen, so wie ich es immer tat, aber mittlerweile - nach drei Wochen - konnte ich das nicht mehr. Die Ungewissheit machte mich fertig. Ich schaffte es immer mit all ihren Stimmungsschwankungen umzugehen, ich konnte sie immer akzeptieren wie sie war, aber das hier? Diese Ignoranz war tatsächlich etwas, mit dem ich an meine Grenzen ging. Doch jedes Mal, wenn ich kurz davor war diese Grenzen zu überschreiten und tatsächlich an unserer Beziehung zu zweifeln, meldete sich diese Stimme in mir, die mich daran erinnerte, dass Madison ihre Freiheiten brauchte. Dass es zu ihr gehörte mich manchmal von sich zu stoßen, aber dass sie bisher immer zurück kam. Das half mir zumindest dabei in diesen drei Wochen nicht völlig den Verstand zu verlieren, bis tatsächlich eine Nachricht von ihr kam.
Weil wir beide keinerlei Interesse daran hatten diese Probleme über eine Social Media Plattform zu klären, antwortete ich auf ihre Nachricht nur knapp, dass ich da sein würde, und verbrachte danach die restlichen Stunden damit das unruhige Gefühl in meinem Körper zum Schweigen zu bringen. Normalerweise war ich niemand, der sich zu viele Gedanken um etwas machte. Ich handelte immer spontan, ohne Angst vor den Folgen und ging mit dieser optimistischen Weltanschauung durchs Leben, dass alles, was geschah, auch genauso passieren musste. Am Ende würde alles gut werden, dessen war ich mir so sicher, dass mich kaum etwas aus der Fassung bringen konnte. Aber das hier schaffte es problemlos. Wie ein pubertierendes Mädchen nahm ich jedes Wort in ihrer Nachricht auseinander und versuchte irgendeine kryptische Nachricht darin zu entdecken. Warum schrieb sie zum Beispiel das Bitte dazu? Wusste sie, dass irgendetwas passieren würde? Wollte sie höflich sein, weil sie mir eine schlechte Nachricht überbringen musste? Scheiße, was geschah denn hier mit mir?
Ich war gedanklich auch so auf dieses Wiedersehen fixiert, dass ich diesmal sogar rechtzeitig mein Skateboard in die Hand nahm und ausnahmsweise pünktlich am erbetenen Treffpunkt vorfuhr. Weil Los Angeles heute nicht in blauem Himmel und praller Sonne erstrahlte, war kaum etwas los, aber trotzdem musste ich erst zwei Mal mit den Augen an der dunkelhaarigen Frau auf der Halfpipe hängen bleiben, bis ich erkannte, dass es sich dabei tatsächlich um Madison handelte. Und in genau diesem Moment spürte ich einen so unangenehmen Druck auf meinem Magen, dass ich kurz in Erwägung zog mich vor Aufregung zu übergeben, aber stattdessen nahm ich mein Skateboard in die Hand und ging auf sie zu. "Verändern Frauen nicht normalerweise ihre Frisur, wenn sie mit ihrem Typen abschließen?", fragte ich, in bekannt ironischem Ton und bewusst provokativ, weil ich wusste, wie sehr Madison diese Genderklischees hasste. Nur diesmal drangen meine lockeren Worte nicht bis zu meinen Augen vor und auf meinen Lippen war auch nicht dieses typische Lächeln zu erkennen, als ich mit ein bisschen Anlauf die Halfpipe hoch lief, für den letzten Schritt das Geländer an der Seite in die Hand nahm - mit Mitte 30 war ich schließlich auch nicht mehr der Jüngste - und mich danach langsam neben ihr auf den Boden sinken ließ, die Beine über die Biegung herunter hängend. Wie gerne ich sie mit ihrer neuen Frisur aufgezogen hätte, aber stattdessen sagte ich gar nichts, sah sie nur von der Seite an, überlegte ob ich mich an diesen neuen Anblick gewöhnen musste oder ob es dafür sowieso zu spät war, und wartete auf das, wofür sie mich her gebeten hatte.
MATTHEW NICHOLAS DAWSON # 39 YEARS OLD # HIPPIE PUNK
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