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SLAB CITY
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Aiden Rutherford
PLEASE DON'T GO


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Beitrag #1
SLAB CITY
Natürlich hatte es mich hart getroffen, als Haily auf einmal mit einem riesigen Rucksack vor meiner Tür stand und mir ganz aufgewühlt verriet, dass es Zeit für sie war zu gehen. Anfangs reagierte ich genauso wie beim ersten Mal: Ich stellte auf bockig, ich wollte mich nicht von ihr verabschieden und ich wollte auch nicht ohne sie sein, aber als ich erfuhr worum es ging, blieb mir gar nichts anderes übrig, als ihr geknickt mein Einverständnis zu geben. Wenn auch nur gegen das Versprechen, dass sie sich regelmäßig melden würde, mir egal wie. Entweder sollte sie Briefe schreiben oder sie sollte mich anrufen oder von mir aus auch sowas Neumodisches wie ein Handy oder einen Computer nutzen, um mich zu kontaktieren. Und ich ließ sie auch erst gehen, als sie mir zusagte irgendwann wieder zurück zu kommen, denn schließlich lag ihre Matratze ja noch immer dort in ihrem Haus und das alles konnte ohne sie doch gar nicht überleben. Man brauchte sie hier. Ohne sich an zeitliche Absprachen halten zu müssen sagte sie mir auch das zu und danach nahmen wir einander fester in den Arm als jemals zuvor. Diesmal war ich es sogar, der sie gar nicht mehr loslassen wollte und ich scherzte auch nicht nur einmal, dass ich sie auf die Art einfach hier halten würde, aber irgendwann konnten wir den Abschied nicht mehr länger hinaus zögern und ich musste von meiner Tür aus beobachten wie sie die vielen Treppenstufen wieder nach unten lief und damit auf unbestimmte Zeit aus meinem Leben verschwand.
Im Gegensatz zu ihrem Bruder, der nur zwei Tage später vor meiner Tür auftauchte und wild dagegen klopfte. Er suche nach Haily, sagte er mir, als er sich mit einem seiner Anhängsel einfach an mir vorbei in die Wohnung drängte. Ungebeten durchforstete er jedes Zimmer und schenkte meiner Aufforderung, dass er doch bitte wieder gehen sollte, keinerlei Beachtung. Mehrmals ertastete ich verräterisch das Handy in meiner Hosentasche, fragte mich stillschweigend, ob ich nicht einfach abhauen und die Polizei rufen sollte, der Typ gehörte schließlich hinter Gitter, wenn er tatsächlich auf Matt geschossen hatte, aber jedes Mal wieder erinnerte ich mich an die Warnung, die er vor ein paar Wochen bei der Entführung von Haily ausgesprochen hatte: Keine Polizei. Fuck, warum war dieses Arschloch denn auch nur so verdammt einschüchternd? Mit zusammen gepressten Kiefern blieb ich also einfach starr in meiner Wohnung stehen und nachdem ich ihm zum gefühlt hundertsten Mal gesagt hatte, dass ich nicht wusste, wo Haily war und wo sie hin reisen würde, schien er mir auch endlich Glauben zu schenken. Er beruhigte sich, sein Begleiter wurde nach draußen vor die Tür geschickt und dann lud er sich selber dazu ein an meinem Küchentisch Platz zu nehmen. Großartig. Um ihm bloß nicht das Gefühl zu geben hier willkommen zu sein, blieb ich aber einfach mit verschränkten Armen in der Tür stehen und sah ihn erwartungsvoll an. Bis er dann mit der Sprache rausrückte. Er habe nicht auf Matt geschossen, das Gerücht ging zwar rum, aber er war es nicht und er wollte, dass seine Schwester das erfuhr. Beweise hatte er keine, was mich auch erst an seiner Erklärung zweifeln ließ, aber er betonte mehrmals, dass er nie so stümperhaft arbeiten würde. Jemanden in seiner eigenen Küche erschießen? Und dann auch noch so, dass derjenige nicht starb, sondern überlebte? Nein, das klang nicht wie eine geplante Tat, sondern wie ein Schuss aus Affekt und er versicherte mir, dass er den richtigen Täter finden würde, um nicht nur Haily seine Unschuld zu beweisen, sondern noch ein paar anderen Menschen, die sich daraufhin von ihm abgewandt hatten. Und danach bat er mich - unglaubwürdig höflich - dass ich seiner Schwester all das sagen sollte, wenn ich mit ihr in Kontakt stand. Und das sie sich - bitte - bei ihm meldete. Als ich ihn an der Tür daraufhin wieder verabschiedete, schüttelten wir einander sogar die Hand und ich konnte kaum fassen, was da gerade geschehen war. Vor allem konnte ich kaum fassen, dass Haily jetzt ganz umsonst die Stadt verlassen hatte und eigentlich schnellstmöglich wieder zurück kommen konnte. Ich musste nur noch eine Möglichkeit finden sie zu kontaktieren.
Das entpuppte sich jedoch als durchaus schwierig, denn obwohl es nicht lange brauchte, bis zum ersten Mal eine Postkarte in meinem Briefkasten lag, hatte ich ja keine Möglichkeit irgendwie darauf zu reagieren. Nur vier Tage nach Hailys Abreise war das und man sah sie darauf freudestrahlend, in typisch verrückter Pose vor der Skyline von San Diego. Und das war erst der Anfang. Immer mehr Karten folgten von ihr, sie ließ sich ablichten vor der Grenze nach Mexiko, dann dort an einem mexikanischen Strand. Bis in die Hauptstadt war sie gereist und es gab auch ein Bild von ihr in der Wüste und mit einem Sombrero. Jede dieser Karten pinnte ich in meiner Küche an den Kühlschrank und als nach vier Wochen ohne Haily noch eine Karte ins Haus flatterte, in der sie mir verriet, dass sie mit einem älteren Hippie-Ehepaar zurück in die USA nach Slab City reisen würde, um dort ein bisschen Zeit zu verbringen, schnappte ich mir sofort einen Rucksack. Das wäre vielleicht die einzige Chance, um mit ihr reden zu können, in absehbarer Zeit.
Dieser völlig verrückte, wilde Campingplatz lag mitten in der Wüste, etwa vier Stunden von Los Angeles entfernt und ganz in der Nähe des Salvation Mountain. Jährlich pilgerten tausende alte Hippies dorthin, um sich in Slab City zu verwirklichen und während das zwar klang wie mein persönlicher Albtraum, hatte ich doch gar keine andere Wahl. Es ging mir ja auch viel eher darum sie wiederzusehen und sie wieder mit mir zurück nach Los Angeles zu nehmen, anstatt um den Ort, an dem wir uns dabei aufhielten. Bei einem Freund lieh ich mir also ein Auto, schmiss mein Zeug in den Kofferraum und fuhr einfach los, um gut vier Stunden später genau dort anzukommen, wo ich hin wollte. Ich hatte keine Ahnung, ob Haily schon hier war oder nicht, aber vor allem hatte ich auch keine andere Möglichkeit das herauszufinden, als einfach nach ihr zu suchen. Also parkte ich mein Auto zwischen bunt bemalten Wohnmobilen und lief einfach durch die verschiedenen Gänge. Anfangs versuchte ich mir noch den Weg zu merken, aber irgendwann ließ ich mich einfach durch den Wüstenstaub treiben, kam bei ein paar Leuten vorbei, die Bücher verliehen, bei einer großen Gruppe, die glücklich musizierte, und bei ein paar anderen, die jonglierten oder einen Stoffball auf dem Fuß balancierten. Jeder hier war irgendwie glücklich, einige liefen völlig nackt herum und immer wieder begegnete mir ein freundliches Lächeln oder aufgeschlossene Menschen. So schlimm war es hier vielleicht gar nicht, musste ich mir selber eingestehen, und gerade als ich über diesen absurden Gedankengang unwillkürlich lachen musste, blieb mein Blick an genau der Person hängen, die ich suchte. Haily saß dort mit ein paar anderen Menschen im Sand und trommelte grinsend auf ein paar alten Blechdosen herum, unheimlich glücklich und frei sah sie aus und weil das so schön war zu beobachten, blieb ich einfach eine Zeit lang in etwas Entfernung stehen. Bis ich mich ihr ganz leise und vorsichtig näherte, hinter ihr in die Hocke sank und meine Hände über ihre Augen legte.


AIDEN RUTHERFORD # 28 YEARS OLD # HARDCORE

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23.03.2016 00:28
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SLAB CITY - Aiden Rutherford - 23.03.2016 00:28
RE: SLAB CITY - Haily Stone - 23.03.2016, 11:57
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