RE: MATT # MADISON # JAMIE
Ich hatte keine Ahnung, wo Madison hingehen würde und was sie vorhatte, auch nicht, wann ich sie wiedersehen würde, aber sie gab mir diesmal etwas, das ich in der Vergangenheit nicht oft von ihr bekommen hatte: Einen Abschied. Sie verabschiedete sich von mir, sie versprach mir, dass wir uns wiedersehen würden, und die letzte Erinnerung, die ich an sie im Kopf hatte, war dieser Kuss und ihr wunderschönes Lächeln, anstatt erneut nur wieder einen Brief vorzufinden, der niemals das sagen könnte, was ihre Augen mir an diesem Morgen sagten. Es würde alles gut werden, glaubte ich darin zu lesen. Ich sah neu gewonnene Motivation, ich sah ihre Stärke und ihren Kampfeswillen. Und als sie unser Haus verließ, da glaubte ich wirklich daran, dass sie irgendwann nur noch stärker zurückkommen würde. Vielleicht redete ich mir das auch nur ein, weil alles andere so schwer zu ertragen war, aber genau diese Zuversicht brauchte ich, um weiterhin an uns zu glauben. Und um die nächste Zeit zu überstehen, denn natürlich war es hart Jamie und Gus zu verabschieden, die mir am nächsten Tag eröffneten, dass sie gehen wollten. Irgendwohin. Ohne Ziel. Durchs Land reisen, in der Natur schlafen, Leute kennenlernen, Dummheiten machen. Das war so ziemlich das Gleiche, was auch Kilian und ich im Alter von 16 Jahren getan hatten und weil ich wusste, wie unheimlich viel man dadurch lernte, konnte ich gar nicht Nein sagen. Vor allem Jamie würde das helfen. Und als ich sah wie Chas seinen eigenen Bruder zugerichtet hatte, war es auch eine nette Erleichterung, dass meine kleine Schwester damit aus seinem Schussfeld verschwand. Innerhalb eines Tages waren also alle Sachen gepackt und ehe ich mich versah schloss ich die Kleine fester als jemals zuvor in meine Arme und zwang sie dazu mich wenigstens regelmäßig anzurufen. Damit blieb ich alleine zurück, ohne meine Frau, ohne meine Jamie und sogar ohne Gus. Nur die beiden Hunde hatten sich so sehr an dieses Haus und an das bequeme Sofa gewöhnt, dass sie einfach hier blieben. Zum Glück, denn ganz ohne Gesellschaft wäre ich wahrscheinlich wahnsinnig geworden. Ich kannte zwar genug Leute und verbrachte jetzt auch wieder mehr Zeit mit Haily, mit Kilian oder führte auch Lahja zum Essen oder Rumhängen aus, aber jedes Mal in ein leeres Haus zurückzukehren, das konnte ich einfach nicht ertragen. Ich brauchte die beiden Hunde, die mir schwanzwedelnd entgegen rannten.
Allzu lange hielt die ungewollte Ruhe aber auch gar nicht an, denn nur wenige Tage nach dem Verschwinden von Jamie und Gus standen am Abend zwei Personen vor meiner Tür, mit denen ich schon längst nicht mehr gerechnet hatte: Meine Mutter und ihr italienischer Liebhaber. Fantastisch. Sie wollten unbedingt mit Jamie sprechen und obwohl ich ihnen klarmachte, dass sie nicht da war, dass ich nicht einmal genau wusste, wo sie sich aufhielt, und dass sie auch bestimmt nicht nochmal mit den beiden gehen wollte, ließen sie einfach nicht nach. Bis ich ihnen ergeben die Tür weit öffnete, sie in die Küche einlud und nach meinem Handy griff, um Jamie anzurufen. Ganz bewusst ging ich dazu ins Wohnzimmer und schloss sogar die Tür hinter mir, um in Ruhe mit meiner Schwester reden zu können, aber als sie das Telefon abnahm und ich ihr erklärte, wer hier war, war ich aus einem ganz anderen Grund glücklich über meinen Rückzugsort. Hier konnte ich mich ganz unbeobachtet erschrocken auf das Sofa sinken lassen, als sie auf einmal anfing zu stottern, nervös mit Gus zu reden und dann ganz ängstlich auszusprechen, dass sie mir etwas sagen musste. Etwas, das ich bestimmt nicht hören wollte. Mein Herz schlug ganz schwer, als sie damit anfing, mein Körper verkrampfte sich und dann gab es da in unserem Gespräch diesen einen signifikanten Moment, in dem ich verstand, worauf das hinauslief. Dieser eine Moment, in dem alles um mich herum verschwamm und der Schock mich tief in sich sog. Der Freund meiner Mutter war Schuld an unserem Unfall. An dem Unfall, der Madison beinah ihr Leben gekostet hätte. Der Unfall, wegen dem sie sich jetzt an nichts mehr erinnern konnte. Er war Schuld daran. Er hatte unser Auto gerammt und war danach verschwunden. Er war das und Jamie sagte mir, dass ich schnell das Haus verlassen und die Polizei rufen sollte, aber das bekam ich schon gar nicht mehr recht mit. Wegen diesem Mann existierte meine Ehe nicht mehr. Wegen ihm gab es das Leben meiner Frau nicht mehr. Er war Schuld an allem, was in den letzten Monaten geschehen war, und obwohl ich mich normalerweise eigentlich so anders verhielt als mein bester Freund, reagierte ich an diesem Abend genauso wie er es tun würde. Ich sagte Jamie, dass ich mich später nochmal melden würde, legte danach auf, ohne auf das zu hören, was sie mir noch sagte, und lief starr vor Schreck und unheimlich wütend zurück in die Küche. Dieser verdammte Wichser war Schuld und jetzt wagte er es auch noch hierher zu kommen? Er wagte es in mein Haus hinein zu gehen? Mir in die Augen zu sehen?
Sowohl er als auch meine Mutter merkten sofort, dass etwas nicht stimmte, als ich den Raum wieder betrat, aber lange mussten sie auch nicht auf eine Erklärung warten. Laut schreiend ging ich direkt auf den widerwärtigen Mann zu, ich wollte schon ausholen und ihm meine Faust ins Gesicht schmettern, aber ihm gelang es mir auszuweichen. Mehrmals. Zusammenhanglos kamen die Worte aus meinem Mund, all die Wut und all der Schmerz, aber ich schaffte es nicht ihn das auch körperlich spüren zu lassen, weil ich nicht wusste, was Jamie mir am Telefon eigentlich noch sagen wollte: Dieser Kerl arbeitete mit der Mafia zusammen, er war gefährlich und trug wahrscheinlich eine Waffe bei sich. Das sollte ich erst merken, als er tatsächlich an seinen hinteren Hosenbund griff, eine Pistole herauszog, auf mich zielte und abdrückte. Direkt auf die Brust. Ein stechender Schmerz, Sekunden, die sich wie Ewigkeiten anfühlten, und dann sackte mein Körper auf den Boden. Zuckend und keuchend lag ich da, der anfängliche Schmerz wurde von einer weichen Wolke ummantelt, mein Blick wurde verschwommener, aber die Farben umso intensiver, die Geräusche um mich herum entfernten sich immer mehr und das letzte Bild, das ich sah, bevor alles um mich herum schwarz wurde, war das wunderschöne Gesicht von Madison.
Erst drei Tage später sollte ich im Krankenhaus wieder erwachen, nach einer schwierigen, langen Operation an meinem offenen Herzen und nach einem künstlichen Koma, in das man mich versetzte, damit mein Körper sich in Ruhe regenerieren konnte. Als ich zum ersten Mal in diesem sterilen Raum wieder blinzelte, fühlte ich mich noch so weit entfernt von der Realität. Ich fühlte mich so schwach und bewegungsunfähig, Schläuche steckten in meinem trockenen Mund und führten von dort bis in meinen Magen, irgendwelche Geräte piepsten neben mir und überwachten meinen Herzschlag. Eine gefühlte Ewigkeit brauchte es, bis ich mich einigermaßen orientiert hatte, immer wieder stöhnte und letztendlich eine Krankenschwester auf mich aufmerksam machte, die hinein kam, um nach mir zu sehen. Freundlich redete sie mit mir, sie checkte meinen Puls und sie zog mir auch die Schläuche aus dem Rachen, damit ich frei atmen konnte, bevor sie mir mit ruhiger Stimme erklärte, was geschehen war. Ich wurde angeschossen, man hatte mich operieren müssen und ich lag seit drei Tagen im Koma, aber ich war okay. Ich würde wieder gesund werden, dank meiner Frau. Unsicher und erschöpft sah ich der Dame in die Augen, schüttelte ein wenig ratlos meinen Kopf, woraufhin sie mir erzählte, dass meine Ehefrau mich gefunden und den Notdienst gerufen hatte. Seit drei Tagen schon verließ sie kaum meine Seite, nur um zwischendurch nach Hause zu gehen und sich um unsere Hunde zu kümmern. Unsere Hunde? Ich verstand überhaupt nicht, wovon sie da sprach, aber auch das lag an meiner Erschöpfung, die mich nur wenige Minuten später erneut in einen tiefen Schlaf manövrierte. Als ich das nächste Mal die Augen wieder öffnete war es schon dunkel, nur das Licht auf meinem Nachttisch brannte noch und leuchtete hell auf Madison, die sich einen Stuhl dicht an mein Bett herangezogen hatte und mit dem Oberkörper schlafend auf meiner Matratze lag. Sie war wirklich da. Sie war wirklich wieder hier. Und sie sah so friedlich und wunderschön aus, dass es mir beinah das Herz brach erschöpft meine Hand zu heben und meine Finger liebevoll durch ihre Haare zu ziehen, um sie zu wecken.
MATTHEW NICHOLAS DAWSON # 39 YEARS OLD # HIPPIE PUNK
![[Bild: matt04.png]](https://i.postimg.cc/g2W8p0zz/matt04.png)
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