RE: LOS ANGELES » SAN FRANCISCO
Von Anfang an hatte ich Jamie eine Sache durchgängig immer wieder gesagt: Dass sie erwachsen und reif genug war, um ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Dass sie nicht mehr den Worten ihres Vaters folgen musste, sondern für sich selber und ihre eigenen Ziele und Werte einstehen konnte. Dass ihre Meinung ebenso gewichtig war wie die jedes Anderen auf dieser Welt. Doch das alles war in diesem Moment komplett vergessen, als ich fest den Kopf schüttelte und den anderen Mann mit einem ermahnenden Blick bedachte. "Ist sie nicht. Sie ist weder alt genug, noch klar genug im Kopf. Such dir jemanden in deinem Alter." Er schien über die Worte so genervt, dass er sich noch etwas mehr vor mir aufbaute, das Kinn ein wenig nach vorne reckte, aber gerade als er die Stimme erheben wollte, entzog Jamie sich dem Gespräch, verschwand hinter der Tür zum Badezimmer und drückte sie fest zu. Dem anderen Mann verschlug das direkt die Sprache und auch ich starrte unsicher gegen die Tür, den wütenden Blick von Jamie noch bildlich vor Augen. Wollte sie das? Mit dem Kerl? Es konnte doch nicht tatsächlich sein, dass sie im Alter von 18 Jahren jetzt all die Fehler wiederholte, die man heutzutage eigentlich mit 14 oder 15 machte. Zumindest der Durchschnittsbürger. Das erste Mal betrunken; Rumknutschen mit Fremden, die sich am nächsten Morgen sowieso als Arschlöcher heraus stellten; Grenzen austesten. Nicht, dass ich es Jamie nicht gönnen würde und eigentlich waren wir ja auch hier, um ihr die Angst vor diesen Dingen zu nehmen, aber irgendetwas störte mich daran, das ich selber nicht recht zuordnen konnte. Wollte ich das überhaupt? Gemeinsam mit Jamie dumm sein? Hier in San Francisco? Meine Jugend hatte nie auch nur ansatzweise so ausgesehen wie die eines typischen Teenagers. Anstatt mich zu betrinken und ein Mädchen nach dem anderen abzuhaken, hatte ich mir in meiner Pubertät viel eher Sorgen darum gemacht, wo ich die nächste Nacht schlafen würde oder wie ich etwas Geld zusammen kratzen konnte, um mir ein Sandwich davon zu kaufen. Diese Leichtsinnigkeit von Jamie, die war einfach so- sinnlos. Sie hatte gerade die Chance so viel Positives und Neues zu erleben, eine Existenz nach ihren Wünschen aufzubauen, und das war das Erste, was sie tat? Denn nächstbesten Typen nehmen, der sich ihr anbot? Ich starrte noch immer regungslos gegen die Tür, als sie hindurch schrie, dass wir einfach beide gehen sollten, wechselte daraufhin einen kurzen Blick mit dem anderen Mann, aber bewegte mich keinen Zentimeter. Der Kerl schien wohl gehofft zu haben, dass er mich damit los wurde, starrte mich auch jetzt noch mit einem vielsagenden Blick von der Seite an, aber ich ignorierte ihn einfach. So lange, bis er nachgab, den Kopf schüttelte, und die Treppen wieder nach oben ging. Ich hingegen trat einen Schritt näher an die Badezimmertür und klopfte dagegen. "Jamie, mach mal die Tür auf", sprach ich dagegen, deutlich entspannter, als kurz zuvor. "Bitte? Gehts dir gut? Kann es sein, dass du etwas zu viel getrunken hast?"
AUGUSTUS EVANS # 25 YEARS OLD # HOMELESS
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