PROM NIGHT
Ob ich überstürzt gehandelt hatte mit meiner Reaktion auf Madison? Vielleicht. Vielleicht war das hauptsächlich ein Resultat meiner Angst und meiner Verzweiflung, vielleicht musste auch ich mal in dieser verdammt langen Geschichte zwischen meiner Frau und mir zusammenbrechen und an meine Grenzen stoßen. Vielleicht war das schon längst überfällig, nachdem ich monatelang versucht hatte positiv und optimistisch in die Zukunft zu sehen, auch dann noch, als Madison mich bereits verlassen hatte. Das war nicht einfach, verdammt, auch für mich nicht. Das zerrte doch auch an meinen Nerven und vielleicht war das alles heute Nacht aus mir heraus gebrochen, gepaart mit der endgültigen Erkenntnis, dass diese Frau nicht mehr meine Frau war. Doch auch Gus hatte Recht, mit seiner Warnung. Natürlich wollte Jamie Madison sehen, als sie endlich wieder die Augen öffnete, und natürlich war der Druck auf meiner Brust nicht mehr ganz so schwer, als ich wusste, dass meine kleine Schwester das überleben würde. Dass es ein Unfall war. Aber als ich mitten in der Nacht mit dem Freund von Jamie nach Hause fuhr und die Tür öffnete, hatte man mir die Wahl doch längst genommen. Hier war nichts mehr, Madison hatte in den vergangenen Stunden all ihre Sachen zusammen geräumt, restlos. Sie hatte alles mitgenommen, was ihr gehörte und neben den Schlüsseln für das Auto und unser Haus auch die Scheidungspapiere auf den Küchentisch gelegt. Das wars. Das hier war tatsächlich das Ende von uns. Gus schien es kaum aufzufallen, er verzog sich direkt ins Wohnzimmer, aber ich stand noch eine gefühlte Ewigkeit in der Küche und blätterte immer wieder durch diesen Vertrag über die Auflösung einer Ehe und las mir jeden Satz darin mindestens zehn Mal durch. Ich war nicht dafür bekannt leicht aufzugeben, normalerweise war ich auch kein Freund davon Dinge unausgesprochen zu lassen oder halsbrecherisch die Flinte ins Korn zu werfen, aber vielleicht war das alles hier ein Zeichen dafür, dass ich endlich loslassen sollte. Nicht nur, dass Madisons Sachen fehlten, sondern auch wie ich auf diesen grauenhaften Unfall reagiert hatte. Ich konnte meiner Frau nicht mehr so vertrauen wie früher, das spürte ich in jeder Pore meines Körpers, und ich konnte auch nicht noch einmal ganz von vorne anfangen. Und sie anscheinend auch nicht. Sie hielt nicht so sehr an mir fest wie ich das monatelang bei ihr getan hatte, sonst hätte sie sich selber nicht so schnell komplett aus diesem Haus und aus meinem Leben gelöscht. Sonst hätte sie doch noch einmal das Gespräch mit mir gesucht, anstatt unsere Familie leichtfertig aufzugeben. Ich machte ihr das nicht zum Vorwurf, auf keinen Fall, schließlich konnte Madison nicht einmal wissen, wer ihre Familie überhaupt war, aber damit erreichten wir auch wieder den eigentlichen Konflikt. Diese Beziehung zwischen uns würde nicht mehr so funktionieren wie sie früher funktioniert hatte, weil wir beide gefühlsmäßig an völlig unterschiedlichen Punkten unserer Entwicklung waren. Sie schaffte es gerade einmal mich als ihren heimlichen Geliebten zu bezeichnen, während ich diese Frau geheiratet hatte und das auch jeden Tag aufs Neue tun würde. Da war zu viel Zeit verloren gegangen, alles zwischen uns war verloren gegangen und das hier war der Moment, an dem ich das einfach akzeptieren musste. Noch in der Nacht unterschrieb auch ich die Papiere, schob sie in einen Umschlag, klebte eine Briefmarke darauf und legte ihn im Flur auf die Kommode, bevor ich nach oben ging, in unser gemeinsames Zimmer, in dem auch nichts mehr von Madison übrig geblieben war, abgesehen von unseren gemeinsamen Bildern. Fotos von der Hochzeit hingen an den Wänden, ebenso wie Fotos von Jamie und ihr. Das Einzige, was ich jetzt noch tun konnte, war, dass ich sie so in Erinnerung behalten musste. Als meine Frau, nicht als meine heimliche Geliebte.
Natürlich fiel mir das in den ersten paar Tagen schwer, leichter wurde es auch nicht dadurch, dass ich das alles mit Jamie besprechen musste, ebenso wie mit Kilian und auch mit Lahja. Ich ließ jeden wissen, dass Madison nicht mehr bei uns lebte und dass wir auch nicht wieder zueinander finden würden, einfach um das auch für mich selber realer und greifbarer werden zu lassen. Da war nichts mehr von meinem Optimismus übrig, das spürte jeder, mit dem ich redete. Ich hatte ganz realistisch akzeptieren müssen, dass es uns als Paar nicht mehr gab und dass es an der Zeit war Madison und all unsere gemeinsamen Erinnerungen hinter mir zu lassen. In diesem Prozess war ich natürlich besonders anfällig für alles, was mir dabei helfen würde. Ich war noch öfter unterwegs als vorher, traf entfernte Bekannte, die ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen hatte, einfach um mich abzulenken, und ging wahrscheinlich auch Jamie schon mit meiner ständigen Quengelei gehörig auf die Nerven. Dauernd wollte ich mit ihr etwas unternehmen, auch wenn es nur ein kurzer Trip um Strand oder zum Skatepark war, im Moment gab es für mich einfach nichts Schlimmeres, als nichtsnutzig im Haus zu liegen. Umso begeisterter war ich dann natürlich auch von Jamies Abschlussball und davon, dass sie sich tatsächlich entschieden hatte dorthin zu gehen und mich sogar fragte, ob ich nicht mit ihr kommen wollte. Als Aufpasser nur, aber ihr schien meine Nähe wichtig zu sein. Ich war darüber so aufgeregt, dass ich nicht einmal eine Sekunde lang infrage stellte, weshalb sie plötzlich doch dort aufkreuzen wollte, obwohl sie eigentlich gar keinen wert auf so etwas legte. Viel lieber beschäftigte ich mich schon im voraus damit, was sie anziehen würde, was ich anziehen würde, wo ich im Haus die besten Fotos von Gus und Jamie machen konnte, wie es mir gelang auch Gus in einen Anzug zu stecken und wie süß die beiden wohl aussehen würden, wenn sie zusammen tanzten. Mehrmals erinnerte ich meine Schwester daran, dass auch wir beide unbedingt miteinander tanzen sollten und quetschte sie sogar nach attraktiven Lehrerinnen aus, die ebenfalls auf dem Ball sein würden, damit ich an ihnen meine Flirt-Skills trainieren konnte. Ich gab den beiden sogar Tipps, wie man am Besten einen Flachmann oder etwas Gras im Anzug verstecken konnte, gefolgt von einer Predigt, dass andere Drogen strengstens verboten seien. Ich war ein großartiger Vater.
Als der Tag dann tatsächlich kam hatte ich mich schon Stunden vorher in Schale geschmissen, auch für Gus hatte ich einen passenden Anzug bei einem etwas kleineren, schmaleren Freund von mir borgen können und nickte anerkennen, als ich ihn darin sah. Gott sei Dank lagen Männer mit Tätowierungen in Anzügen momentan im Trend, ein paar Jahrzehnte früher und er sähe eher aus als ginge er gerade zu einer Gerichtsverhandlung. Wenigstens war es ihm ganz ohne meinen Einfluss gelungen eines dieser Blumen-Armbänder zu besorgen, welches symbolisierte, dass man mit einem Date beim Abschlussball erschien. Ein bisschen spießig, meiner Meinung nach, aber gut. Es konnte ja nicht jeder so kreative Ideen vorweisen wie ich, dann würden die beiden halt das Standardprogramm fahren. Wohlmöglich war das auch gar nicht so verkehrt, wenn Jamie eins mit Sicherheit nicht wollte, dann zu viel Aufmerksamkeit oder Aufhebens um ihre Person, also widersprach ich auch nicht, als Gus unten an der Treppe nervös an seinem komischen Blumen-Armband nestelte, sondern sagte ihm lieber, dass er gut aussah und richtete ihm nochmal die Krawatte. Die Kamera war natürlich schon längst gezückt, in freudiger Erwartung auf meine kleine Tochter-Schwester, die - wie alle Mädchen in ihrem Alter - natürlich viel länger im Badezimmer brauchte, als verabredet.
MATTHEW NICHOLAS DAWSON # 39 YEARS OLD # HIPPIE PUNK
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