RE: THE ROOSEVELT HOTEL
Eine Sache, die während der letzten Wochen unbeabsichtigt in den Hintergrund gerückt war, traf mich jetzt auf einmal wie ein Schlag: Madison war nicht nur so wie sie war, weil sie mit ihrem Gedächtnisverlust zu kämpfen hatte, sondern auch weil ihre letzte Erinnerung die an Chris war. An die Vergewaltigung. Aber wie könnte das auch bei mir noch so präsent sein wie bei ihr? Sie war doch vor mir weggelaufen, als diese Bilder sie wieder eingeholt hatten, sie war wochenlang in New York gewesen, dann in Las Vegas. Und seitdem hatte sie nie erwähnt, wie stark sie das noch belastete, weil sie sich immer davor geweigert hatte mir ihr Herz zu öffnen. Bis zu diesem Moment. Bis sie diese Worte auf einmal in den Mund nahm und unsere Situation viel mehr Sinn ergab. Sie verschloss sich nicht nur vor mir, ihrem Mann, sondern auch vor allen Männern. So wie damals fühlte sie sich verloren, betrogen, sie hatte Angst und sie war wütend, doch als wir in New York aufeinander getroffen waren, vor vielen Jahren, da hatte sie genug Zeit gehabt, um diesen Missbrauch schon für sich selber zu verarbeiten. Und genau diese Zeit fehlte ihr jetzt. Ihr fehlte die Verzweiflung, die Trauer, die Wut und auch die Akzeptanz. Sie befand sich in einer ganz absurden Phase, in der ihr nicht nur die Erinnerung an ihr Leben fehlte, sondern auch das Vertrauen in alles, was ihr vorher wichtig gewesen war und weil ich das erst jetzt so recht verstand, sah ich ihr auch sprachlos in die Augen. Ich sagte kein Wort, sondern ließ einfach nur auf mich wirken wie sich so viele Fragen in meinem Kopf auf einmal in Luft auslösten. Rauschend tobten meine Gedanken, so lange, bis ich die vertrauten Hände meiner Frau an meinem Hals spürte, bis sich ihre Finger warm über meine Haut bewegten und ihre Lippen meine berührten. Anders, als in Las Vegas. Anders sogar, als jemals zuvor. Vorsichtig küssten wir einander und alles in mir und mich herum wurde auf einmal still, so als käme ich nach einer langen Zeit wieder nach Hause. Als wäre ich genau dort, wo ich hingehörte und wo ich glücklich sein konnte. Deshalb war es auch verdammt schwer mich aus diesem sicheren, warmen Ort wieder zu lösen - viel früher, als mir lieb war - und der verrückten Idee meiner Frau zu folgen. Unsicher sah ich auf ihre Hände, auf mein Hemd, das sie mit ihren schlanken Fingern öffnete. Ich folgte ihrem Blick gegen die Decke des Aufzugs, aber es brauchte trotzdem noch etwas, bis ihre Worte auf einmal Sinn ergaben und ich trotz der vagen Hinweise ihre absurden Einfall verstand. Weil unsere Köpfe nunmal ähnlich durchgedreht und abenteuerlustig funktionierten. "Bestimmt gibt es da oben eine Luke, aber ich kann mich leider nicht wie die Männer in den Filmen mit nur einer Hand da hoch ziehen, falls wir sie finden. Trotz Adoniskörper. Aber ich weiß etwas Anderes. Zieh dir das Kostüm an." Bewusst drehte ich ihr den Rücken zu, schob mir mein Hemd wieder in die Hose und nahm stattdessen die Krawatte, in die ich mit meinem Taschenmesser zwei Löcher schnitt, damit ich sie mir wie Zorro um den Kopf binden konnte. Danach holte ich mein Portemonnaie hervor, zog eine unnütze Karte heraus und wandte mich wieder an Madison. "Die Türen von Aufzügen haben immer eine Lichtschranke, wenn du irgendetwas dort hinein hältst, geht automatisch die Tür auf. Wir müssten jetzt irgendwo-" Ich hob kurz den Blick zur Anzeige. "Zwischen dem 8. und 9. Stockwerk sein. Wir können rausklettern, durch den Flur ins Treppenhaus laufen und dann unten irgendeinen Hinterausgang suchen." Zugegeben, die ganze Aktion war total unnötig, man würde wegen uns nicht die Polizei rufen und wenn doch, dann sperrte man uns nicht in ein Gefängnis, weil wir uns heimlich auf eine Party geschlichen hatten. Aber trotzdem sah ich Madison mit einem euphorischen Grinsen auf den Lippen an, weil das hier eben wir waren. Genau dies machte uns Spaß und das war verdammt gut so.
MATTHEW NICHOLAS DAWSON # 39 YEARS OLD # HIPPIE PUNK
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